Mittwoch, 25. Oktober 2017

Volkssage von der heiligen Irmgardis

Eine sehr alte Volkssage über die heilige Irmgardis möchten wir durch dieses Gedicht, das wahrscheinlich aus dem vergangenen Jahrhundert stammt und nur noch wenigen alten Süchtelnern im Wortlaut bekannt sein wird, wieder ins Leben zurückrufen. Der Wortlaut wurde uns von Frau L. Kox, Süchteln - Dornbusch, angeben, der wir hiefür herzlichst danken.


Ihr alten frommen Sagen aus meiner Väter Zeit,
wie kommt´s, daß ihr verachtet und schier vergessen seid!

Die Welt ist alt geworden, der Kinderglauben schwand,
der unsrer Väter Herzen so warm und offen fand.
Kein Wunder mag man glauben, weil keine mehr geschehn,
und wenn sie auch geschähen, es würd´ sie keiner sehn,
und würd´ sie keiner preisen in lieblichem Gesang.
So töne, meine Harfe, denn du in schlichtem Klang!

Zu Süchteln auf dem Berge ein Kirchlein seh ich stehn,
worin gar viele Wunder vor Zeiten sind geschehn.
Vor acht mal hundert Jahren wohnt eine Jungfrau hier,
sie war der Kirch´ auf Erden des Reiches Gottes Zier.

Irmgardis war Ihr Name, am Rheine wohbekannt,
sie war von Züphten Gräfin und Kaisern gar verwandt.
Sie wohnt` hier in ´ner Höhle, sie trank aus einem Bronn,
der nahe bei der Höhle aus einem Felsen ronn.
Sie nährte sich von Wurzeln, von Beeren, Heidekraut,
sie fastete und betet`, was alle schier erbaut`.
Sie lebte ganz in Armut, kasteiet ihren Leib,
sie war an Leib und Seele ein adeliges Weib.

Nun wohnte auch in Süchteln ein armer frommer Mann,
der nur mit großer Mühe acht Kinder nähren kann.
Der Mann ging mit der Axte einst in den Tannenwald
und fällte dort die Tannen, daß durch den Wald es schallt´.
Er dacht im Herz´ der Seinen im stillem Vaterglück,
da prallte seine Axt jäh vom Tannenbaum zurück.
Sie traf, o welches Unglück, des guten Mannes Stirn,
und von dem Stamme spritze des armen Mannes Hirn.

Der Abend stieg hernieder, es naht die Nacht sich schon,
"Wo bleibt heut der Vater?", so sprach der ältre Sohn.
"Wo mag er heute bleiben, es wird so bange mir,
denn stets war mit der Dämm´rung der gute Vater hier!"
"Kommt, lasset uns ihn suchen, sehn, wo er bleiben mag",
zu seinem jüngren Brüdern der ältere dies sprach.
Dann gingen sie zum Walde und fanden endlich ihn
in seinem Blute schwimmend, sein Leben war dahin.

Die heilige Irmgardis, sie hörte das Geschrei,
zu sehn, was vorgefallen, eilt schnelle sie herbei.
Als sie nun hier vernommen die jammervolle Mär,
von Mitleid ward ergriffen die heilige Jungfrau sehr.
Aus ihren schönen Augen floß reich der Tränen Quell,
dann faltet´ sie die Hände und betet´ klar und hell:
"O lieber Gott im Himmel, erhöre mein Gebet,
da du unsre Gebete noch niemals hast verschmäht!
Gib du, o Allerbarmer, der Frommen Schutz und Hort,
den guten Vater wieder den lieben Kindern dort!"

Als sie dies kaum gesprochen, - o staunt das Wunder An! -,
die schon gebrochnen Augen schlägt auf der tote Mann.
Dann regen sich die Glieder, der Tote, er erwacht,
er steht da ohne Wunden in Schönheit und in Pracht,
und von den bleichen Lippen ertönt es, ach, so bang:
"Wo bin ich, ach, wo bin ich!", so dumpf wie Grabgesang.
Die Kinder falten die Hände, kurios es ihnen ist,
dann sprechen sie alle leise: Gelobt sei Jesus Christ!
 
Dank an K-W. Bleischwitz!

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